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» Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit den Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben. «

W. v. Humboldt

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Pflege-Hilfsmittel

Kassen schreiben billige Pflege-Hilfsmittel vor

Juli 2012:  GKV veröffentlicht  Hilfsmittelverzeichnis

November /Dezember 2008

Das neu bestimmte Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG), mag gut gedacht sein, jedoch angesichts der Auswirkungen, die Betroffene derzeit zu spüren bekommen, bahnt sich hier eher eine rückschrittliche Entwicklung an. Aufgrund massiver Protestmeldungen und Berichterstattungen - wird eine erste Änderung des Gesetzes in Erwägung gezogen.

Siehe dazu Beitrag in "Fokus-Pflege", Ausgabe 3.12.2008.

Kurzfristig haben sich zahlreiche Behindertenorganisationen und Selbsthilfegruppen zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen, das erste Erfolge verzeichnen kann.

In der Sendung Frontal21 vom 18.11.2008 wurde dieser Protest ebenfalls aufgegriffen. Skandalös vor allem die Enthüllung, wonach die AOK eine namenlose Billigmarke - Windel für Inkontinente produzieren lässt, die nicht einmal Mindeststandards genügt, welche für die Produkte am freien Markt gelten. Neben der Passform dieser "AOK-Windel" wird vor allem der schlechte Nässeschutz beklagt. Diese Windeln laufen nach verhältnismäßig kurzer Zeit regelrecht aus, Kleidung und Bettzeug müssen entsprechend häufig gewechselt werden. Da die Haut nicht, wie bei den hochwertigen Produkten trocken bleibt, sind sorgfältige Hautschutzmaßnahmen erforderlich. Maßnahmen die zusätzliche Zeit kosten sowie geeignete zusätzliche Pflegeprodukte (Cremes, Salben) erfordern oder im Falle von bestehenden Hautschäden aufwändiger Behandlungsmaßnahmen bedürfen. Mit diesen Billigwindeln kehren wir wohl wieder zurück auf den Stand von vor 20 Jahren, als Hautschäden, Pilzinfektionen, schwer therapierbare Dermatitis etc. im Intimbereich, regelmäßige Begleiterscheinungen bei Inkontinenz waren.

Dekubitus 2007 Dekubitus

Diese Bilder wurden von einer Angehörigen in 2007 aufgenommen, nachdem diese wiederholt feststellen musste, dass die Inkontienzversorgung bei der Mutter in jeder Hinsicht ungenügend war. Die Vorlagen waren zu klein und außerdem wurden sie viel zu selten gewechselt. Das Hautbild spricht für sich. Neben einer schädigenden Druckeinwirkung (Dekubitus), sieht man hier Hautrötungen und Entzündungen, wie sie typischerweise bei zu langem Hautkontakt mit Urin oder Stuhl zu finden sind. Wie wir auch aus anderen Quellen wissen, neigen Heimträger vielfach dazu, den Verbrauch an Inkontinenzprodukten zu senken. Mitarbeiter berichteten, dass von oben Anweisungen gegeben wurden, im Schnitt nicht mehr als drei Vorlagen/Windeln pro Tag/Bewohner zu verbrauchen. Bei Produkten mit hohem Fassungsvermögen, die keine Feuchtigkeit an die Haut abgeben, dürften selbst bei seltenem Wechsel, Hautschäden wie im Bild gezeigt, nicht auftreten.

So seltsam das auch klingen mag, die von den Kassen vorgeschriebenen qualitativ minderwertigen Windeln könnten bestenfalls dazu beitragen, dass Einrichtungen hierdurch genötigt werden, verstärkt auf Kontinenzförderung zu achten. Denn die hohe Saugkraft und der geringe Aufwand mit den Inkontinenzprodukten auf dem vom Wettbewerb beeinflussten Markt, hat eine doch stark pflegeerleichternde Wirkung, die nicht unwesentlich mit dazu beigetragen haben dürfte, dass Patienten/Bewohner die sich melden, weil sie den Drang zur Toilette spüren, zu hören bekommen, dies sei nicht notwendig, sie hätten doch eine "Windel" an. In gewisser Weise kann man diese Bequemlichkeit der Pflege als Kehrseite von auslaufsicheren, geruchsbindenden und gut sitzenden "Inkontinenzhosen" sehen. Das kann aber nicht bedeuten, dass wir nun zurückkehren sollten in die Zeit, als Inkontinente überwiegend im Bett versorgt wurden, mit einer wasserdichten Zellstoffunterlage, auf der sie ohne Unterwäsche lagen, bekleidet mit einem am Rücken offenen Hemd. Die hohe Auslaufsicherheit neuerer Inkontinenzprodukte hat nach meiner Einschätzung entscheidend mit dazu beigetragen, dass der Anteil der Bettlägerigen in den Einrichtungen und im häuslichen Bereich heute wesentlich geringer ist, als noch vor 20 - 30 Jahren. Dank dieser vergleichsweise unauffälligen, wie ein Schlüpfer anzuziehenden Einmalhosen, ist es den Betroffenen möglich in normaler Alltagskleidung am öffentlichen Leben teilzunehmen, Veranstaltungen zu besuchen etc. Das ohnehin stark beeinträchtigte Selbstwertgefühl und Wohlbefinden von Menschen die unter Inkontinenz leiden, sollte nicht zusätzlich durch harte, unbequeme, unsichere Vorlagen/Windelhosen beeinträchtigt werden.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Kassen auf die Preise achten und solchen Produkten den Vorzug geben, die bei gleicher Qualität preiswerter angeboten werden. Solange jedes in Apotheken verkaufte Hilfsmittel von der Kasse bezahlt wird, wird es Hersteller geben, die diesen günstigen Umstand ausnutzen. Ein Preis-Leistungswertbewerb, der überteuerte Produkte ins Abseits stellt, findet wohl die Unterstützung der meisten; vor allem derjenigen die sich um die steigenden Kassenbeiträge sorgen und Monat für Monat einen beträchtlichen Betrag in die Krankenversicherung zahlen. Nicht akzeptabel ist es jedoch, wenn alleine der Preis ausschlaggebend ist und qualitativ minderwertige Produkte vorgeschriebenen werden, wobei dem Einzelnen nicht einmal die Wahlmöglichkeit durch Zuzahlung des Differenzbetrags eingeräumt wird, wie etwa bei Brillen, Hörgeräten oder Zahnersatz. Ärzte sind durch diese Regelung in ihrer Verordnungsfreiheit ebenfalls eingeschränkt. Sie müssen die Notwendigkeit eines speziellen Inkontinenzproduktes medizinisch ausreichend begründen, damit dieses Rezept eingelöst werden kann. Auf diese Weise nimmt die gesetzliche Krankenversicherung nun auch bei den Hilfsmitteln direkten Einfluss auf die Qualität, die bislang Hoheitsrecht des Arztes war. Wie die Kassen überhaupt immer mehr die Kontrolle über das gesamte Gesundheits- und Pflegesystem an sich ziehen bzw. von der Politik zugedacht bekommen. (Siehe auch unsere Kritik an den Pflegestützpunkten)

Die Klagen der Betroffenen, betreffen nicht alleine die vergleichsweise schlechtere Qualität der Produkte, sondern auch die Art der Lieferung und Bevorratung. So sollen angeblich Inkontinenzprodukte in 3 Monatsrationen mit der Post direkt an die Adresse des Pflegebedüftigen geschickt werden. Das sind pro Lieferung mehrere große Pakete, die in den Wohnungen oder Bewohnerzimmern gelagert werden müssen. Derart umfängliche Lieferungen lassen sich nicht einfach in einem Schrank verstauen oder unauffällig in einer Ecke stapeln. Ähnliches wird übrigens auch bei der Sondennahrung bemängelt. Bei unseren Heimbegutachtungen (siehe Heimauszeichnungen) fielen die gestapelten Vorräte an Sondennahrung oder anderen Hilfsmitteln regelmäßig ins Auge. Doch: "Wohin mit diesen Kisten? Irgendwo müssen wir sie ja lassen". Im Grunde brauchte man für jedes Bewohnerzimmer inzwischen einen eigenen Abstellraum, um alles so unterbringen zu können, dass eine wohnliche Atmosphäre erhalten bleiben kann. Abgesehen davon weise ich noch auf einen anderen Umstand hin, den ich im August bei meiner 93 jährigen Schwiegermutter beobachten konnte . Ihr wurde eine Woche vor ihrem Tod eine PEG Sonde gelegt. Kaum war sie wieder in ihrer Wohnung, da wurde die erste Monatsration an Sondennahrung angeliefert. Sehr zum Erstaunen der Angehörigen, die sich kaum vorstellen konnten, dass sie in ihrem schlechten Zustand mehr als zwei dieser Kisten noch würde aufbrauchen können. Als sie fünf Tage später verstarb, war der Stapel an Sondennahrung kaum merklich geschrumpft. Das heißt, die übrigen Kisten mussten wieder an die Apotheke zurückgegeben werden, die diese streng genommen nicht an andere Patienten weiterleiten darf. Schließlich haben diese, wenn auch in verpackter Form, tagelang im Zimmer eines Kranken gelagert. Wie dies im Einzelnen gehandhabt wird, würde mich nach dieser Erfahrung interessieren.

Der Spareffekt dieser neuen Regelung muss aus verschiedenen Gründen bezweifelt werden. Was ist beispielsweise gewonnen, wenn pro Patient/Bewohner im Jahr vielleicht 1000 Euro bei der Inkontinenzversorgung mit Billigwindeln eingespart werden, dafür aber vermutlich jeder Zweite eine langwierige medizinische Haut- und Wundbehandlung bedarf die leicht das drei- oder vierfache Kosten kann? Wirklich sparen könnten die Kassen, wenn sie z.B. einen ausreichenden Personalschlüssel in den Einrichtungen fordern würden, damit tatsächlich auch genügend Leute da sind, um die Bewohner rechtzeitig zur Toilette zu bringen. Stattdessen tragen die Kassen zur Unterbesetzung bei: Einerseits, indem sie bei den Pflegesatzverhandlungen wie Kostenträger auftreten, denen es darum geht, den Hauptkostenfaktor - Personal - gering zu halten. Andererseits, indem sie Einfluss auf die Einstufungen nehmen. Wie jede andere Versicherung auch, sind die Kassen bemüht die Ausgaben gering zu halten. Wenngleich dies offiziell bestritten wird, scheint es üblich, dass MDK Mitarbeiter instruiert werden, gezielt nach Fakten zu suchen, die gegen eine Höherstufung sprechen. Da für Pflegestufe 1 ein geringerer Personalschlüssen als für 2 gilt und der Personalschlüssel für die 3 höher ist als für Bewohner in Stufe 2, wirkt sich die Tendenz, so niedrig wie möglich einzustufen, unmittelbar auf die Personalbesetzung aus. Man kann den Versicherungen diese Haltung nicht verübeln. Es sind und bleiben eben in erster Linie Versicherungen. Allerdings muss man der Politik den Vorwurf machen, den Kassen Stück für Stück die Oberhoheit über die Qualität zu geben und deren Macht zu stärken.

Unser Gesundheitssystem setzt sich zusammen aus einem Flickenteppich von Verordnungen und Regelungen, der mit jedem neuen Gesetz einen in Farbe und Form unpassenden Flicken dazu bekommt. Ein aktuelles Beispiel dafür liegt uns mit o. g. Gesetz vor. An dieser Flickschusterei wird sich vermutlich erst etwas ändern, wenn die Risse und Löcher nicht mehr zu stopfen sein werden. Vielleicht wird dieser Prozess durch den Gesundheitsfond, der ab 2009 eingeführt werden soll beschleunigt, vielleicht wird er verlangsamt. Um das beurteilen zu können, müsste man sich tiefgehend mit den verschiedensten Berechnungen beschäftigt haben. Die Hauptursache für die oftmals kurzsichtigen, widersinnigen Regelungen, sind die zu kurz greifenden Auseinandersetzungen mit den Zusammenhängen. Ein Gesetz jagt das nächste, ob und wie geltendes Recht umgesetzt wird interessiert erst einmal nicht. Wenn wir die überflüssigen Regelungen abschaffen und uns kümmern würden, dass die verbleibenden richtig umgesetzt werden, wären wir wieder auf einem sinnvollen Weg.

Adelheid von Stösser, zu den neuen Kassenleistungen bei Pflegehilfsmitteln, St.Katharinen den 09.12.2008