Foto Kopfbereich
» Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit den Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben. «

W. v. Humboldt

Schrift vergrößern

 

 

 

 

 

 

 


 

Pflege-WG kritisch betrachtet

Sind Pflege-WGs wirklich eine Alternative zum Heim?

Gesundheitsminister Daniel Bahr will Pflege-WGs fördern. Er sieht darin eine Alternative zum Heim. Wir warnen davor Pflege-WGs durch die rosarote Brille zu sehen. Auf diesem Mark tummeln sich längst Geschäftemacher wie woanders auch.

Zwischen der Idealvorstellung einer Pflege-WG und der praktischen Umsetzung liegen oft Welten. Wenn alles so läuft, wie man es sich bestenfalls vorstellt, kann die Pflege-WG ein guter Kompromiss sein. Vor allem für Demenzkranke im fortgeschrittenen Statium, für die eine geschützte, überschaubare Umgebung mit festen Betreuungskräften wichtig ist.  Andererseits kann das Leben in einer WG auch der reinste Horror sein, dann nämlich, wenn einzelne Bewohner sich nicht mögen.  Denn im Unterschied zu größeren Heimen oder dem Leben Daheim,  wohnen Hilfebedürfige  in einer WG auf engstem Raum. Es besteht kaum die Möglichkeit sich aus dem Weg zu gehen. Oft gibt es nicht einmal einen Garten oder eine Anlage, in der sich mobilerer Bewohner außerhalb der Wohnung aufhalten können. Für Menschen mit erhöhtem Bewegungsdrang sind diese WGs daher völlig ungeeignet.

In gut geführten WGs achten die Leitungskräfte sehr darauf, dass ein neuer Bewohner zu den anderen passt. Außerdem achten sie darauf, dass die Betreuungskräfte fachlich und menschlich passen. Denn auch diese sind oft allein gelassen.  Nur vielleicht 6 Stunde am Tag  sind zwei Mitarbeiter zeitgleich im Dienst, ansonsten muss eine Betreuerin schauen, wie sie mit den 6, 7 oder 8  Bewohnern klar kommt.  Oft werden angelernte Hilfskräfte eingesetzt, weil diese am Billigsten sind. Dass es hier häufig zu Überforderungen kommt, liegt auf der Hand. Uns haben inzwischen so viele Negativmeldungen erreicht, dass ich nur noch jedem raten kann, genau hinzuschauen, worauf er sich da einlässt.

Pflege-WGs sind inzwischen zu eimem Markt geworden, der von geschäftstüchtigen Dienstleistern entdeckt wurde.  Da diese vergleichsweise wenig Auflagen erfüllen müssen und weniger kontrolliert werden, sind die Handlungsspielräume und Margen verhältnismäßig groß. Um eine ausreichende rund-um-die-Uhr Betreuung an 365 Tagen im Jahr gewährleisten zu können, bedarf es wenigstens 5 Vollzeitstellen plus einiger Aushilfen. Da sich Gewinne in diesem Bereich nur über Personaleinsparung und untertarifliche Löhne realisieren lassen, wir das Personal sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr knapp kalkuliert.

Ein Beispiel für die Geschäftstaktik in dieser Branche lieferte die Hauskrankenpflege Berlin Mitte. Eine frühere Mitarbeiterin, Angelika-Maria Konietzo, hat sich gegen den Versuch des Arbeitgebers gewehrt, ihre Nachtdienste in der Demenz-WG als Bereitschaftsdienst auszulegen, um entsprechend weniger zahlen zu müssen. Dabei lag ihr Bruttostundenlohn mit 6,15€ ohnehin unter der Mindestlohngrenze.  Daraufhin wurde sie gemoppt und krank. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich u.a. an den Pflege-SHV. Mit dieser Stellungnahme habe ich versucht, ihre Position zu stärken. Denn die schriftliche Argumentation des Anwaltes der Gegenseite ist derart widersinnig, dass das selbst einem Laien ins Auge springt. Auch ein Richter kann, ohne nähere Überprüfung, alleine aus den widersprüchlichen Darlegungen, erkennen,  worum es diesem Pflegedienst geht.  Insofern  liefert dieser Fall außerdem ein Zeugnis für die Voreingenommenheit von denen sich auch Gerichte mitunter lenken lassen.  Inzwischen hat der Fall Konietzko / Hauskrankenpflege Berlin-Mitte, solches Ausmaß erreicht, dass die Presse darüber berichtet.

Auch wenn es sich hier vermutlich um ein Extrembeispiel handelt, kann ich nur jedem raten, genau hinzuschauen anstatt ungeprüft Pflege-WGs zu idealisieren. Uns sind auch gut geführte Pflege-WGs bekannt mit einem familiären Wohlfühlklima.  Solche Bilder mögen Daniel Bahr bewogen haben, diese Betreuungform zu fördern.  Kostengründe können es jedenfalls nicht sein, denn der Platz  in einer Pflege-WG ist häufig sogar noch teurer wie ein Heimplatz.  Insofern mag die geplante finanzielle Förderung der WGs gerechtfertigt sein, weil bislang ausschließlich die Heimpflege gefördert wurde.

Adelheid von Stösser,       den 10.02.2012